Filterkaffee, Pausengespräche und der Versuch, die eigene Rollenlandkarte zu zeichnen
Am Freitagnachmittag sitzt eine Gruppe Studierender in den gleichen marineblauen etwas oversizigen T-Shirts auf den Stufen zur Martin Luther Universität (MLU) in Halle (Saale) und schweigt in der Nachmittagssonne. Es ist der 31. Mai, Freitag nach Himmelfahrt. Die Studierenden befinden sich auf der Jahrestagung der ASP, der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie. Eine Kaffeepause im Programm hat das Gelände der MLU leer gewaschen von den Sportpsychologie-Interessierten, die es eben noch gefüllt haben. Für die nächsten 30 Minuten gibt es Filterkaffee und Pausengespräche statt Symposiums und Praxisworkshops.
Die BSP Studentinnen und Studenten lassen die Frage ihrer Dozentin Renate Eichenberger wirken. Einige blättern ihre Notizbücher durch, andere tauschen flüsternd Eindrücke aus oder blinzeln in die Wolken und suchen dort oben eine Antwort auf die gestellte Frage: „Was nehmt ihr denn von den letzten Tagen mit?“
Placebos und „Nocebos“, Self-Talk und Selbstmitgefühl
Die „letzten Tage“. Damit sind die letzten 24 Stunden voller sportpsychologischer Themen, Daten, Zahlen, Eindrücke und Fragen gemeint, die auf der Jahrestagung der ASP präsentiert wurden. Die ASP ist eines der größten Organe in Deutschland, das wissenschaftliche sportpsychologische Aus- und Weiterbildung ermöglicht. Ein zentrales Element dabei ist die jährlich stattfindende Tagung, die 2019 ihr 50-jähriges Jubiläum feierte, unter dem Motto „Angewandte Sportpsychologie“. Die BSP Studierenden, die jetzt auf den Stufen der Martin-Luther-Universität sitzen, besuchten Keynote’s zu den Effekten von Placebos und „Nocebos“ im Sport, zu Self-Talk und der Rolle der Sportpsychologie in Deutschland. Sie nahmen an einer Podiumsdiskussion teil, über die Rolle des Systems in der Entscheidung zu dopen, mit prominenten Gästen wie dem Dokumentarfilmer Hajo Seppelt und dem ehemaligen deutschen Schwimmer und Weltmeister Paul Biedermann. Sie saßen in zahlreichen wissenschaftlichen Symposien und nahmen an Arbeitskreisen und Praxisworkshops teil, die versuchten, die Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis zu bauen.
Zwischen Sportpsychologe und Babysitter, Wissenschaft und Praxis
Die ersten der Studierenden melden sich zu Wort und sortieren ihre Eindrücke. Es sei viel Input, die Themen seien sehr vielfältig und teils sehr, machmal etwas zu speziell, aber bereichernd. Die interessantesten Gespräche fänden am Kaffeeautomaten statt, sagt ein Studierender, wo man sich mit Kolleg_innen aus der Praxis unterhalten und Kontakte knüpfen könne. Eine Studentin ergreift das Wort und stellt ihre Antwort mitten in den Zwiespalt zwischen Wissenschaft und Praxis. Ja, die Beiträge seien vielfältig und interessant. „Aber was bringt mir das jetzt für die Praxis?“, fragt sie. Andere Studierende pflichten ihr bei. Es wird deutlich, dass sie eine andere Erwartungen an eine sportpsychologische Tagung hatten, die unter dem Titel „Angewandte Sportpsychologie“ steht. Die überwiegend quantitativen Forschungsmethoden werden diskutiert, ebenso wie darüber, wie weit man gehen müsse. Muss man etwas so selbstverständliches wie non-verbale Ausdrücke im Feldhockey empirisch erfassen? Oder ist nicht genau das die Aufgabe von Wissenschaft - das Selbstverständliche in den Blick zu nehmen?
Die Vielfalt an Eindrücken zeigt sich, die die Studierenden aus den letzten Tagen mitgenommen haben. Es wird aber auch deutlich, dass die meisten von ihnen ihre Zukunft in der sportpsychologischen Praxis sehen. Hier auf den Stufen der Martin-Luther-Universität sitzend, handeln sie diesen Praxisbezug mit dem vielen teils rein theoretischen Wissen aus, das sie von der Tagung mitnehmen. Sie versuchen ihre eigene Rolle zu definieren, wie es der Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann in der Keynote am Morgen schon gesagt hatte. Es geht um den Versuch, die eigene Rollenlandkarte als Sportpsychologin zu zeichnen. Zwischen Sportpsychologe, Koch und Babysitter. Zwischen Coach, Berater und Vertrauter. Zwischen Wissenschaft und Praxis, Zahlen und Worten, Fakten und Empfindungen, objektiv und subjektiv. Wie möchte ich arbeiten? Und bedeutet Studium nicht genau das - diese Rollenlandkarte zu zeichnen, sich darauf zu positionieren und die Ressourcen anzueignen, um die eigene Position auszufüllen?
Ein Bericht von Mareike Dottschadis, BSP Studentin Master Sportpsychologie